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Auf dem Wege zur Reformation
Aufbrueche, Umbrueche und Zerbrueche in der
abendlaendischen Kirche des
11. und 12. Jahrhunderts
vorgelegt von
BERNHARD
HEYL
im Oktober
1996
Dr. John B. Toews
HIST
690 (Guided Study) - TERM PAPER
Regent College
Inhaltsverzeichnis
1. Prolog 03
2. Umbruch
in den europaeischen Machtstrukturen 05
3. Die
Kreuzzugbewegung und ihr Zerbruch 09
4. Der
Aufbruch geistlicher Reformbewegungen 13
5. Aufbruch
zur verinnerlichten Froemmigkeit 17
6. Der
Aufbruch der “Haeretiker” 19
7. Epilog 26
Bibliographie 29
1. Prolog
Das historische Umfeld des 12.
Jahrhunderts war ohne Zweifel einer der faszinierendsten und zugleich
schockierendsten Zeitabschnitte des Hohen Mittelalters. Die Umbrueche der
europaischen Machtverhaeltnisse und die Veraenderungen innerhalb der roemischen
Kirche waren gewaltig und zum Teil von nachhaltiger Wirkung.
Gekennzeichnet war das Jahrhundert
zunaechst einmal durch die sozio-oekonomisch interessante
“Bevoelkerungsexpansion” in Westeuropa und die damit verbundene notwendigen
Ausdehnung des Lebensraumes durch umfassende Neulandgewinnung und
Stadtentwicklung. Dazu kam ein allgemeiner Aufwaertstrend in den Bereichen des
Handels und Fruehformen der Industrie. Das erzeugte bei vielen einerseits eine
fortschrittsoptimistische Grundstimmung und ein gesteigert euphorisches
Lebensgefuehl, unterstuetzt von wachsendem Wohlstand in der buergerlichen
Mittelklasse.[1] Andererseits
war da aber auch unterschwellig - und teilweise offen - der Hang zu
apokalyptischen Spekulationen[2]
und Anzeichen von Weltfluchtstimmung[3]
zu beobachten; und auch diese Aspekte gehoeren essenziell zum Gesamtbild des
12. Jahrhunderts, das dadurch eben zu einem Jahrhundert der Gegensaetze und
Widersprueche wird. Diese Widersprueche und Gegensaetze lassen sich leicht
exemplifizieren, wenn man sieht, dass das 12. Jahrhundert zur gleichen Zeit ein
Jahrhundert der Kreuzzuege und des Reformpapsttums, der Fruehscholastik und der
Mystik, der Laterankonzilien und zahllosen Ordensgruendungen, sowie der
innerkirchlich aufbrechenden Oppositionsbewegungen[4]
und der Inquisition war.
Weltfremd erscheinende mystische
Verinnerlichung des Kreuzes Christi und kaltbluetiges Niedermetzeln der
offiziell erklaerten Glaubensfeinde unter dem Banner des gleichen Kreuzes
fanden innerhalb der gleichen Kirche und oft in deren Namen statt. Zum einen waren Vertreter dieser Kirche
eifrig damit beschaeftigt, mit Kaisern, Koenigen und Fuersten um die
Weltherrschaft zu schachern, zum anderen versuchten Einzelpersonen oder Gruppen
im gleichen historischen Kontext geistliche Erneuerungen in der Kirche durch strukturelle
Veraenderungen oder neue persoenliche Froemmigkeitsformen auf den Weg zu
bringen. Das Papsttum erklomm in diesem Jahrhundert den Gipfel seiner Macht und
versank zugleich bisweilen in Chaos und Dekadenz[5].
Es liegt eigentlich auf der Hand,
dass eine Kirche solcher Gegensaetze und Widersprueche auf Dauer nicht
zusammenzuhalten ist und nach einer grundlegenden Reformierung verlangt. Und
tatsaechlich gab es ja auch eine zunehmende Anzahl von Reformansaetzen,
insbesondere aus der cluniazensischen und zisterziensischen Ordensbewegung, die
bis hin zu den Paepsten selbst ihre Wirkung hatten. Neben diesen
Reformbestrebungen aus den Reihen der Theologen, entstanden jedoch auch zwei
grosse und mehrer kleinere Reformbewegungen an der kirchlichen Basis. Hatte die
Kirche sich noch mit den Reformorden in den eigenen Reihen noch arrangieren
koennen, so war ihr die Herausforderung durch die Laien in der Albigenser- und
Waldenserbewegung zunehmend ein Dorn im Auge, den sie schliesslich mit Gewalt
zu entfernen suchte.
Die vorliegende Arbeit soll den
Versuch darstellen, ein moeglichst klares Bild der kirchlichen Situation im 12.
Jahrhundert zu zeichnen und dabei insbesondere die Gruende fuer das Entstehen
der Reformorden auf der einen Seite, und der Laien-Reformbewegungen auf der
anderen Seite, herauszuarbeiten. Dabei kann im Rahmen des projektierten Umfangs
des Papieres leider nur selektiv[6]
und mit Einschraenkungen im Hinblick auf die Ausfuehrlichkeit der Verarbeitung
des vorliegenden Stoffes gearbeitet werden. Als vorherrschendes Selektionskriterium
diente die Bedeutsamkeit einer Bewegung oder einer Entwicklung zur Verursachung
oder Verstaerkung eines Reformdruckes innerhalb der Kirche.
2. Umbruch in den
europaeischen Machtstrukturen
Nachdem im 10. Jahrhundert ein
nahezu voelliger Verfall[7]
der abendlaendischen Kultur und Kirche stattgefunden hatte, begann mit der
cluniazensischen und lothringischen Reformbewegung wieder ein Umbruch und
Neuanfang. Papst Leo IX. (1049-1054) war ein Vertreter dieses Reformgeistes und
leitete damit mittelfristig einen gewaltigen Wandel[8]
in der Papstgeschichte ein. Sein Reformansatz wurde dann von Papst Gregor VII.
(1073-1085) aufgenommen und weiter ausgebaut. Seine Reformen beinhalteten neben
einer markanten Aufwertung des Papstamtes[9],
die Abschaffung des “Nikolaitismus”[10]
und die Einfuehrung des Zoelibates fuer die niederen Geistlichen und Priester.
Alle verheirateten Priester wurden entlassen! Entlassen wurden auch alle
Geistlichen, die durch Simonie in ihre Aemter kamen. Die Praxis der Simonie selbst
wurde nun definitiv untersagt.[11]
Mit der ebenfalls neu verbotenen weitverbreiteten Praxis der Laieninvestitur,
die Gregor auf der Fastensynode 1075 aussprach, hatte er Koenig Heinrich IV.
den Fehdehandschuh zugeworfen und einen Machtkampf[12]
begonnen, der erst mit dem Wormser Konkordat[13]
(Pactum Calixtinum, 1122) sein
vorlaeufiges Ende fand. Das Konkordat stellt eine Kompromissformel dar, die dem
Koenig eine Art Vetorecht (Szepterverleihung) einraeumt, bedeutet aber
letztlich einen deutlichen und stetigen Machtgewinn fuer die Kirche.
In der ersten Haelfte des 12.
Jahrhunderts kam es dann nochmals zu einem Rueckschlag fuer die kirchliche
Position. Das Papsttum wurde erneut verwickelt in die Fehden rivalisierender
Adelsparteien in Rom. Schliesslich liefen diese Verwicklungen hinaus auf das sogenannten
“Schisma des Anaklet II. (1130-1138)”, der als Gegenpapst zu Innocenz II.
inauguriert wurde. Innocenz gewann jedoch die Unterstuetzung von Bernhard von
Clairvaux und damit letztlich inklusive auch das Wohlwollen der Herrscher
Frankreichs, Deutschlands und Englands und konnte 1139 auf der II.
Lateransynode das Ende des Schismas zu seinen Gunsten feiern[14].
Aber damit waren die Probleme fuer das roemische Papsttum noch laengst nicht
beseitigt. Es folgte eine Zeit wuester Kaempfe um die Stadt Rom, in denen die
Paepste als Feldherren mit Waffengewalt die Normannen mit wechselndem Erfolg
zurueckzutreiben versuchten.
In der zweiten Haelfte des 12.
Jahrhundert dominierten dann zunehmend die Staufer im Kampf um die
Vorherrschaft zwischen Kirche und Staat, insbesondere unter Kaiser Friedrich I.
“Barbarossa”. Nach dessen Tode 1190 auf dem dritten Kreuzzug, sah es kurzzeitig
so aus, als koennte sein Nachfolger Heinrich VI. (1190-1197) das
Herrschaftsgebiet der Staufer durch den Zugewinn Siziliens auf ganz Italien
ausdehnen. Doch der ploetzliche und fruehe Tod des jungen Kaisers stuerzte die
Staufer in eine tiefe Herrschaftskrise[15]
und bereitete dem neu antretenden und stark politisch orientierten Papst
Innocenz III. (1198-1216) aeusserst guenstige Ausgangsbedingungen, die er auch
gekonnt zu nutzen wusste. Unter ihm gelangte das Papsttum auf den Gipfel seiner
Macht. Mit dem neu von ihm eingefuehrten Interdikt[16]
schuf er sich ein wirkungsvolles kirchliches Droh- und Strafpotential gegen die
weltlichen Herrscher. Er setzte das Wormser Konkordat ausser Kraft[17]
und behauptete seine Alleinherrschaft innerhalb der Kirche. Ebenso insistierte
er nachhaltig auf der gottgewollten Vorherrschaft der Kirche auf allen Gebieten
und definierte sein Amt als Papst neu als das, des vicarius Christi auf Erden. Er sei eben “nicht nur der Statthalter
Petri, eines blossen Menschen, sondern Statthalter Christi oder Gottes.[18]”
Er geht sogar soweit, zu behaupten, der Papst sei zwar “geringer als Gott, aber
groesser als ein Mensch.[19]”
Im Hinblick auf das Verhaeltnis zu den weltlichen Herrschern schrieb Innocenz
in einem Brief[20]: “Wie Gott,
der Schoepfer der Welt, zwei grosse Lichter am Firmament geschaffen hat, ein
groesseres , das den Tag und ein kleineres, das die Nacht regieren soll, so hat
er an das Firmament der gesamten Kirche zwei grosse Wuerden gesetzt: eine
groessere, die die Tage, d. h. die Seelen, und eine kleinere, die die Naechte,
d. h. (sic) die Koerper regiere: die paepstliche Gewalt und die koenigliche
Macht. Wie ferner der Mond sein Licht von der Sonne empfaengt, so empfaengt die
koenigliche Macht von der paepstlichen Gewalt den Glanz ihrer eigenen Wuerde.”
Er setzte in Deutschland Koenige ein
und ab[21],
versuchte in England Johann Ohneland 1213 als paepstlichen Vasall einzusetzen,
nachdem er ihn vorher als Koenig abgesetzt hatte[22]. Arragonien und Portugal wurden
tributpflichtige Lehnsstaaten. Durch den von ihm initiierten vierten Kreuzzug
(1202-1204) gewann er Konstantinopel und besetzte damit zugleich den
Patriarchenstuhl des “Lateinischen Kaisertums”. Schliesslich veranstaltete er
1215 auf dem Gipfel seiner Macht das vierte Laterankonzil, auf dem unter
anderem die Albigenserbekaempfung, ein fuenfter Kreuzzug, die
Transsubstanziationlehre, die verpflichtende Ohrenbeichte und das Verbot neuer
Ordensgruendungen beschlossen wurde - obwohl letzteres relativ wirkungslos
blieb[23].
Ohne Zweifel war das Pontifikat
Innocenz’ der Hoehepunkt aber damit auch zugleich der Wendepunkt in der
Geschichte der politischen Machtkirche. Schon recht frueh konnte man Zeichen
des Zerfalls erkennen. Das vorherrschend rein politische Machtpapsttum und die
finanzielle Ausbeutung der Lehnsvoelker durch den Kirchenstaat, sowie die
innerkirchliche Nepotenwirtschaft hatten seit der Mitte des 12. Jahrhunderts
die religioese Verehrung und Glaubwuerdigkeit des Heiligen Stuhles schwer
untergraben und beschaedigt. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich gerade in
dieser Zeit eine vielschichtige Gegenbewegung herausbildete, die Machtverzicht,
Armut und Rueckkehr zur vita apostolica
auf ihre Fahnen schrieb. Neben der innerkirchlichen Reformbewegung, die in
dieser Zeit im wesentlichen von den Zisterziensern getragen wurde, kam es auch
zu Laienreformbewegungen an der kirchlichen Basis und allgemeinem Widerstand
aus den Reihen der schon aelteren gnostisch-neumanichaeischen Katharersekte.
Selbst in der Laienpoesie des
Minnesaengers Walter von der Vogelweide[24]
sind die kirchenkritischen Toene nur allzu deutlich wahrzunehmen.
3. Die Kreuzzugsbewegung und ihr Zerbruch
Ein weiteres Charakteristikum, das
neben dem Schachern um die Vormachtstellung zwischen Kirche und saekularer
Macht das westliche Europa des 12. Jahrhunderts kennzeichnete, war ohne Zweifel
die Kreuzzugsgewegung. Man zaehlt in der Regel acht Kreuzzuege, deren erster
1095-1099 und deren letzter 1270 stattfand. Ausgangspunkt fuer die Bewegung war
zum einen eine gewachsene antiislamische Stimmung, aufgrund zunehmender
Auseinandersetzungen mit den Arabern in Spanien und dem Mittelmeerraum, zum
anderen die Empoerung ueber die Einnahme des Heiligen Landes - insbesondere
Jerusalems (1076) - durch die moslemischen Seldschuken[25]
im ausgehenden 11. Jahrhundert. Es
wurden Berichte tradiert und verbreitet, die von Misshandlungen christlicher
Pilger und ansaessiger Bewohner
sprachen. Ebenso beklagte man die Profanisierung der heiligen Staetten. Als
dann der byzantinische Herrscher Alexios I. Komnenos (1081-1118) Papst Urban
II.(1088-1099) um Unterstuetzung gegen die Seldschuken bat, war dieser nur
allzu gerne bereit, darauf einzugehen[26].
Auf der Synode zu Clermont (1095) verstand er es, in einer Rede unter freiem
Himmel vor einer grossen Menge, die Begeisterung fuer einen Kreuzzug zu
erzeugen (“Deus lo volt”).
Bereits im Herbst 1096 machte sich dann
das erste Kreuzfahrerheer unter Gottfried von Bouillon auf den Weg, eroberte
Antiochia (1098) und nach 30-taegiger Belagerung schliesslich auch Jerusalem am
15. Juli 1099. Die Kreuzfahrer gruendeten in der Folgezeit das Koenigreich
Jerusalem, die Grafschaft Edessa und das Fuerstentum Antiochia.
Trotz dieser Erfolge waren die
Verluste der Kreuzfahrer jedoch horrend und daempften die Euphorie fuer das
Unternehmen drastisch. Im uebrigen gingen in den folgenden Jahrzehnten fast
alle Gebietsgewinne des ersten Kreuzzuges wieder an die Moslems zurueck,
insbesondere die gesamte Grafschaft Edessa.
Moeglicherweise waere auch kein
weiterer Kreuzzug mehr zustandegekommen, haette sich nicht eine kirchliche Autoritaet
wie Bernhard von Clairvaux im Jahre 1146 mit Nachdruck dafuer eingesetzt. Mit
dem Ziel, Edessa wieder aus tuerkischer Hand zu befreien, zog deshalb ein
weiteres Kreuzfahrerheer 1147 unter der Fuehrung von Konrad III. (1138-1152)[27] und Ludwig VII. (1137-1180) Richtung Osten.
Die Katastrophe liess diesmal nicht lange auf sich warten. Karl Heussi
beschreibt es so: “Schon auf dem Hinmarsche erlag der groesste Teil der
Kreuzfahrer den Angriffen der Tuerken und dem Hunger; der Rest scheiterte vor
Damaskus. Die Zuchtlosigkeit und das
gegenseitige Misstrauen der Kreuzfahrer und die treulose Haltung der Byzantiner
wirkten verhaengnisvoll.[28]”
Das Verhaeltnis zwischen Rom und Byzanz blieb von da an nachhaltig gestoert und
auch die Reputation von Bernhard von Clairvaux, der als eigentlicher spiritus rector des Unterfangens galt,
war schwer beschaedigt.
Kaum 40 Jahre spaeter, nachdem dann auch
Tiberias und Jerusalem an Sultan Saladin und die Sarazenen gefallen waren,
veranlasste Papst Alexander III. (1159-1181) den dritten Kreuzzug (1189-1192)
unter der Fuehrung von Friedrich I. (Barbarossa) und Richard I. (Loewenherz).
Auch dieser Zug war nur mit geringem Erfolg gesegnet. Nachdem Barbarossa
bereits 1190 auf dem Hinmarsch im Fluss Saleph in Kleinasien ertrunken war,
gelang es Richard Loewenherz nach der Eroberung Akkos lediglich, die Kueste von
Tyros bis Joppe zu sichern. Von der angestrebten Rueckeroberung Jerusalems
konnte keine Rede mehr sein.
Der vierte Kreuzzug schliesslich -
nur knapp zehn Jahre spaeter (1202-1204) entbehrt nicht einer besonderen Ironie
im Hinblick auf das Ganze des Unternehmens. Initiiert von Innocenz III. und
gefuehrt von dem Ghibellinen[29]
Bonifatius von Montferrat, einem “Antibyzantiner”, zog ein aeusserst unzivilisiertes
Heer los. Diesmal wollte man den
muehevollen und verlustreichen Ueberlandmarsch vermeiden und sich von Venedig
aus mit Schiffen uebersetzen lassen. Der Doge[30]
von Venedig, Enrico Dandolo, verlangte
dafuer jedoch 85000 Mark Silber, was die Kreuzfahrer bei weitem nicht
aufbringen konnten. Daraufhin verlangte der Doge von ihnen als Gegenleistung fuer
die Ueberfahrt die Einnahme und Pluenderung der christlichen Hafenstadt Zara an
der dalmatischen Kueste[31]
und hatte auch bei der spaeteren Eroberung Konstantinopels seine Haende und
finanziellen Interessen im Spiel. Fuer die Pluenderung Zaras wurden die
Kreuzfahrer von Innocenz III. zunaechst exkommuniziert und nur unwillig
erteilte er ihnen kurze Zeit spaeter dann doch die Absolution, um das ganze
Unternehmen des Kreuzzuges nicht zu gefaehrden.
Urspruenglich eigentlich auf den Weg
gebracht, um Aegypten einzunehmen und so die Sarazenen im Heiligen Lande zu
schwaechen, zogen die Kreuzfahrer nun jedoch nach Konstantinopel, eroberten und
pluenderten es und gruendeten das “lateinische Kaiserreich[32]”
(Romania), das von 1204-1261 bestand.
Langfristig bedeutete dies eine
entscheidende Schwaechung des Ostroemischen Reiches und damit zugleich auch den
Verlust eines vorgeschobenen “christlichen Bollwerks” gegen den Islam im Osten.
Zum dunkelsten Kapitel in der
ohnehin wenig ruhmreichen Geschichte der Kreuzzuege, gehoert sicher der sogenannte
“Kinderkreuzzug” von 1213. Er wurde ausgeloest durch Prophezeiungen eines
franzoesischen Hirtenjungen. Etwa 30000 Kinder aus Frankreich und Deutschland
zogen daraufhin nach Marseilles, um sich nach dem Nahen Osten einzuschiffen.
Viele starben bereits auf dem Weg dorthin. Die uebrigen wurden als Sklaven
verkauft!
Aber auch damit war die
Kreuzzugsstimmung noch laengst nicht ueberwunden. Unter Leitung des paepstlichen
Legaten Pelagius zogen die Kreuzfahrer 1219 ein fuenftes Mal aus - erneut gegen
Aegypten. Nach einigen Kaempfen um die Stadt Damiette kamen sie 1221
demoralisiert und erfolglos wieder zurueck.
1228 brach Friedrich II.(“stupor mundi”) zum sechsten Kreuzzug auf
(1228-1229), der ihm schon bald auf diplomatischer Ebene einen Erfolg
bescherte. Sultan Al Kamil trat Friedrich auf dem Verhandlungswege Jerusalem,
Bethlehem, Nazareth und des Kuestenstrichs zwischen Sidon und Joppe ab. Nachdem
Friedrich sich dann selbst zum Koenig von Jerusalem gekroent hatte, verhaengte
Papst Gregor IX. (1227-1241) den Bann ueber ihn und das Interdikt ueber die
heiligen Orte in Palaestina. Nach seiner Rueckkehr erkaempfte sich Friedrich unverdrossen
mit Waffengewalt die Absolution[33].
Ludwig IX. brach dann 1248 mit einem
weiteren Heer nach Aegypten auf, musste jedoch kapitulieren und wurde
gefangengesetzt. Nach der Zahlung eines betraechtlichen Loesegeldes kam er
wieder frei und blieb weitere vier Jahre in Jerusalem, um die Stadtverteidigung
neu zu organisieren und besser auszubauen.
1270 schliesslich wagte er noch
einmal, “das Kreuz zu nehmen” und mit einem Heer loszuziehen. Er setzte jedoch
ueberraschenderweise[34]
nur ueber nach Nordafrika und belagerte die Stadt Tunis. Aber auch diesmal war
Ludwig kein Erfolg beschert. Viele Kreuzritter fielen Seuchen zum Opfer,
schliesslich auch Ludwig der Heilige selbst (25. August 1270).
Insgesamt kann sicherlich
festgehalten werden, dass die Kreuzzugsbewegung - gemessen an ihren
urspruenglichen Absichten - ein totaler Misserfolg war. Als letzte Bastion der
fruehen Eroberungen ging 1291 auch die Stadt Akko wieder verloren. Im Hinblick
auf das Papsttum, das letztlich hinter der Kreuzzugsinitiative stand, wirkte
sich das Scheitern des Unternehmens zunehmend schaedigend aus. Zum Verdruss
ueber die innereuropaeischen Machtintrigen und politischen Raenkespiele der
roemischen Oberhirten, kam jetzt auch noch der Verdruss ueber die enormen
Kriegskosten und den unglaublichen Blutzoll der vergeblichen Kreuzzuege.
Darueberhinaus wurden durch die
Kreuzzugsbewegung der Ablass- und mehr noch der Reliquienhandel aus dem Heiligen
Lande enorm gefoerdert, was zu einer immer staerkeren Veroberflaechlichung des
religioesen Lebens fuehrte.
4. Aufbruch geistlicher Reformbewegungen
Nachdem es bereits im 10.
Jahrhundert zu einer Reform des benediktinischen Moenchtums unter den
Cluniazensern[35] gekommen
war, die bis hin zu Papst Leo IX. (1049-1054) ihre Auswirkungen zeigte, stand
die innerkirchliche Reformbewegung des 12. Jahrhunderts weitgehend unter dem
Zeichen und der Praegung der Zisterzienser.
Auch die Zisterzienser-Bewegung ist
als eine Reform des Benediktinertums anzusehen. Ihren Namen leitet sie von dem
Ort ihrer Gruendung, dem Staedtchen Citeaux (Cistercium) in Burgund ab. 1098
stiftete der strenge Abt Robert (gest. 1108) dort ein Benediktinerkloster. 1113
trat Bernhard in Citeaux ein und gruendete schon bald (1115) ein Tochterkloster
in Clairvaux (Claravallis). 1118 loeste der dritte Abt von Citeaux, Sephan
Harding, durch die “Charta charitatis”
die Zisterzienser von den Benediktinern und machte sie damit zum selbstaendigen
Orden.
Die Regel der Zisterzienser bestand
aus der ungemilderten Regula St.
Benedicti, ergaenzt um die Charta
charitatis. Charakteristisch sind erneut die besondere Betonung der Askese,
aeusserste Bescheidenheit in Kleidung, Ausstattung der Kosterraeumen und
Kirchen, darueber hinaus aber auch Landwirtschaft und Viehzucht. Letztere
wurden haeufig von den neu eingefuehrten Laienbruedern uebernommen. Grosse
Verdienste erwarben sich die Zisterzienser (zusammen mit den
Praemonstratensern) auch auf dem Gebiet der Neulandgewinnung und Kolonisation
unbesiedelter Gebiete. Die Leitung des Ordens war - im Gegensatz zu Cluny -
aristokratisch und wurde wahrgenommen vom Generalkapitel der Aebte. Die
Froemmigkeit der Zisterzienser hatte mystische, zum Teil sogar
visionaer-ekstatische Zuege mit besonderem Akzent auf der Marienverehrung[36].
Die praegendste Persoenlichkeit des Ordens nach innen und aussen war sicherlich
Bernhard von Clairvaux (1091-1153). Er wird als der “eigentliche Begruender und
Bahnbrecher der Froemmigkeit des ‘Ecce
homo’”[37] angesehen.
Bernhard war - nach dem Kirchengeschichtler Heussi - “der religioese Genius des
12. Jahrhunderts, als Ratgeber der Paepste und der Fuersten der ungekroente
Herrscher Europas.[38]”
Dabei war er ein groesstenteils unabhaengiger Denker und konnte deshalb auch
ungeschminkt in seinem Hauptwerk “De
consideratione ad Papam Eugenium” unter anderem die
Weltherrschaftsintentionen des Papsttums kritisieren[39].
Seine Froemmigkeit war stark von
Hugo von St. Victors (1097-1141) areopagitischer Mystik[40]
beeiflusst, obwohl er dieser sehr wohl ein eigenes, weniger
abstrakt-theologisches Gepraege gab. Die daraus resultierende bernhardinische
Christus-Devotion besteht im wesentlichen in der Selbstversenkung des
Glaeubigen in die Betrachtung des menschlichen Bildes des Gekreuzigten.
In einem Jahrhundert der
Machtspiele, Kreuzzuege und beginnenden Inquisition ist es umso
verwunderlicher, dass sich eine mystische Stroemung, wie die bernhardinische
Reformbewegung[41], ganz an
die Spitze der Kirche setzen konnte und sie weitgehend durchdrang. Die Kirchengeschichte
wurde nun ploetzlich von Frankreich aus geschrieben - nicht mehr von Rom!
Von der Reformbewegung ebenfalls
erfasst und beeinflusst wurden auch viele Kathedral- und Domgeistlichen
(Kanoniker), insbesondere die Augustiner-Chorherren[42].
Sie sammelten sich im Laufe der Zeit in dem 1120 von Norbert von Xanten
(1082-1134) gestifteten Praemonstratenserorden[43],
der seit 1126 in den deutschen Wendengebieten (oestlich der Elbe) ansaessig
war. Obwohl Praemonstratenser und Zisterzienser vieles gemeinsam hatten, war
doch der Schwerpunkt der ersteren “nicht die aeussere Taetigkeit, ... nicht die
Feldarbeit war wie bei den Zisterziensern das Ziel, sondern eine neue, ganz
innerliche Aktivitaet von bezwingender Kraft: die Kontemplation.[44]
“
Zusammen mit den Zisterziensern
waren die Praemonstratenser wesentlich beteiligt an der Bekehrung der Wenden.
Neben den beiden grossen Reformorden
entstanden darueberhinaus auch eine ganze Anzahl kleinerer Orden im 12.
Jahrhundert, deren Bedeutung und Wirkung jedoch ziemlich begrenzt blieben. So
bildeten sich seit 1069 von Reform-Moenchen geleitete “asketische
Genossenschaften” von erweckten Laien um das Kloster Hirsau (im alten Herzogtum Franken gelegen).
Der franzoesische Orden von Grammont (Grandmont) wurde
1076 in der Auvergne gestiftet von Stephan von Thiers (gest. 1124). Er erwuchs
aus einer Moenchsgesellschaft, die nach dem Vorbilde der italienischen
Camaldulenser[45] (1012) oder
Vallombrosaner[46] (1038)
aufgebaut waren.
Der
deutsche Regularkanoniker Bruno von Koeln (gest. 1101) wurde ebenfalls erfasst
von der Reformbewegung. Vergeblich bemuehte er sich, seinen Erzbischof fuer den
neuen Weg zu gewinnen. Schliesslich gab er auf und zog als Eremit in die Berge,
an einen Ort namens Chartreuse bei Grenoble, wo er nahe an der Schneegrenze
1084 die “Grosse Kartause” gruendete, woraus sich in der Folgezeit der Kartaeuserorden entwickelte. Es galten
haertere Bedingungen als bei den Camaldulensern. So kam eine verschaefte Regula St. Benedicti zur Anwendung,
sowie taeglich nur eine fleischlose Mahlzeit und staendiges Schweigen. Mit
geringer Unterbrechung lebte und arbeitete jeder Moench alleine in seiner
Einzelzelle mit Einzelgaertchen.
Schliesslich soll auch der Orden von Fontevraud (Pauperes Christi)
nicht unerwaehnt bleiben. Der franzoesische Wanderprediger Robert von Arbrissel
(gest. 1117) begruendete diesen Orden um das Jahr 1100. Genoetigt durch die
Tatsache, dass viele Frauen auf seine Predigten reagierten und sich ihm
anschlossen, gruendete er ein Doppelkloster bei Portier, das aus einem streng
voneinander getrennten Maenner- und Frauenkonvent bestand. Die Leitung beider
Konvente lag in der Regel in der Hand der Aebtissin!
Diese Vielzahl von Ordengruendungen
innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne - und es sollten noch weitere im 13.
Jahrhundert folgen[47]
- weisen fraglos auf einen allgemein empfundenen Reformbedarf innerhalb der
etablierten Kirche hin.
5. Aufbruch zur verinnerlichten Froemmigkeit
Es ist bereits im vorangegangenen
Kapitel angeklungen, dass die Reformbewegungen nicht nur neue Inhalte oder
Formen in das Leben der Kirche einbrachten, sondern - was viel bedeutsamer und
wirkungsvoller war - eine neue, intensivere, emotional erlebte und subjektive
Froemmigkeit. Dieser mystische Ansatz riss viele Glaeubige aus dogmatischer
Erstarrung und geistlicher Oberflaechlichkeit und brachte etwas von
“existenialer Betroffenheit” in den Glaubensalltag. Die mystische Bewegung
breitete sich wohl auch deshalb sehr rasch aus; zunaechst in den Kloestern,
dann in den Reihen des Klerus und schliesslich auch unter den Laien.
Hauptvertreter einer christlichen Mystik im Hohen Mittelalter waren zum einen
Hugo von St. Viktor bei Paris (viktorinische Mystik) und Bernhard von Clairvaux
(bernhardinische Mystik).
Hugos viktorinische Mystik wird
bisweilen auch “areopagitisch” genannt aufgrund ihrer inhaltlichen Naehe zu dem
neuplatonisch-christlichen anonymen Verfasser der Schriften[48]
des Pseudo-Dionysius Areopagita. Diese Schriften wurden im 9. Jahrhundert von
Johannes Scotus Erigena (810-877?), dem Vorsteher der Hofschule Karls des
Kahlen (823-877), aus dem Griechischen ins Lateinische uebersetzt “und
verschafften so der neuplatonischen Mystik den Eingang ins Abendland[49].”
Hugo nahm die Mystik des Areopagiten
auf und kombinierte sie dialektisch mit seiner ansonsten streng
traditionalistischen Haltung. Hugo war naemlich Mystiker und traditioneller
Scholastiker zugleich. Sein mystisches System kennt drei Erkenntnisstufen: Cogitatio, Meditatio und Contemplatio und analog dazu gibt es in
Hugos Anschauung auch drei Augen des Menschen: das sinnliche Auge fuer die
Weltschau, das Auge der Vernunft fuer die Selbstschau und schliesslich das Auge
der frommen Betrachtung fuer die Gottesschau. Der Glaube geht fuer ihn -
Gegensatz zur herrschenden Kirchenlehre - weit ueber die blosse Zustimmung der
Vernunft zur Lehre der Bibel hinaus. Der menschliche Wille (affectus) muss ebenfalls betroffen sein
und eine neue Richtung wollen.
Um das Ziel der mystischen
Froemmigkeit zu erreichen, muss der Glaeubige durch permanente Kontemplation
aus dem Materiellen durch das Geistige die scala
mystica emporsteigen bis zur Gottheit. Dort erfaehrt er dann in einem
Augenblick der Ekstase das Gefuehl der Vereinigung seiner Seele mit Gott (unio mystica).
Obwohl die Grenzen fliessend waren,
war die bernhardinische Mystik weniger theologisch als die viktorinische,
dafuer aber wesentlich staerker orientiert an der kontemplativen Betrachtung
Christi in seiner menschlichen Gestalt: als Kind in der Grippe, als
Gekreuzigten und Auferstandenen. Man spricht deshalb auch in seinem Falle
haeufig von Christusmystik oder Christus-Devotion. “Durch diese Betrachtung
entzuendet sich die ganze Glut tiefen religioesen Empfindens und die
Leidenschaft frommer Gefuehle. Eine inbruenstige Liebe der Seele zum
“Braeutigam” wird geweckt, die sich in allegorischen Betrachtungen des Hohen
Liedes Salomos ergeht.[50]”
Aus der Tradition der bernhardinischen Mystik entstammt auch das lateinische
Vorbild des Passionsliedes von Paul Gerhardt (1607-1676): “O Haupt voll Blut
und Wunden.[51]”
Auch die mystische Froemmigkeit, die
sich schnell und weit ausbreitete, zeugt von dem unterschwellig vorhandenen
Empfinden, es muesse sich etwas aendern an dem, was die Kirche ihrer Tage
ausmachte und was sie lehrt. Eine Sehnsucht nach realer Glaubenerfahrung und
groesserer Unmittelbarkeit zu Gott stand meist hinter der via mystica.
Diesen Ansatz vertraten zum Teil
auch die beiden Gruppen, denen das letzte Kapitel dieser Arbeit gewidmet sein
soll: die Katharer und die Waldenser.
6. Der Aufbruch der “Haeretiker”
Eines muss gleich vorhab klargestellt
werden: Zwischen Katharern und Waldensern gibt es so gut wie keinen
inhaltlichen oder historischen Zusammenhang[52].
Der waldensische Theologe Durandus von Huesca schrieb sogar ein Doppelwerk mit
dem Titel Liber Antiheresis, in dem
er die Lehre der Katharer strickt verurteilt und gleichzeitig das “theologische
Programm” der Waldenser darlegt. Was sie verbindet, ist lediglich die Tatsache,
dass sie - in ihrer jeweiligen Art, kontemporaer kirchenkritisch lebten und dementsprechend
beide den Zorn Roms und schliesslich auch die Inquisition gegen sich auf den
Plan riefen.
Die Katharer[53]
waren eine uneinheitliche gnostisch-neumanichaeische Sektenbewegung, die ihre
eigentlichen Wurzeln bei den Paulicianern[54]
und Bogomilen[55] im Balkan
hat. Sie waren im wesentlichen in Oberitalien und Suedfrankreich beheimatet.
Der innere Kern (perfecti) der Sekte
pflegte ein ausserordentlich strenge Askese und war hierarchisch aufgebaut.
Daneben bestand ein grosser Anhaengerkreis von credentes, die erst durch die Zeremonie des consolamentum (Geistestaufe) in die Reihen der perfecti aufgenommen werden konnten. Damit sie nicht wieder in
Suende fielen, nahmen viele Neugetaufte sofort die Endura (den Hungertod) auf sich. Manche liessen sich aus dem
gleichen Grunde erst auf dem Totenbett mit dem als heilsnotwendig angesehenen consolamentum versiegeln.
Die Katharer liessen das Alte
Testament nur teilweise gelten[56],
verwarfen die Ehe, die kirchlichen Sakramente, Altaere, Kreuze, Verehrung der
Bilder, Heiligen und Reliquien, den Genuss von Fleisch mit Ausnahme von Fisch.
Einzelne Gruppen innerhalb der Katharerbewegung leugneten sogar die Trinitaet
und vertraten in der Christologie eine eindeutig doketistische Position[57].
In Suedfrankreich hatten die
Katharer viel Rueckhalt bei den regionalen Fuersten (insbesondere bei Raimund
von Toulouse). Sie bildeten eine regelrechte kirchliche Parallelstruktur zur
Papstkirche, disputierten oeffentlich auf der Synode zu Lombers (1165) mit den
katholischen Bischoefen und hielten sogar 1167 in Toulouse ein eigenes Konzil
ab. Diese Freiheiten sollten jedoch nicht von langer Dauer sein. Papst Innocenz
III. initiierte die brutale Bekaempfung der Katharer zwischen 1209 und 1229,
die als die sogenannten Albigenserkriege in die Geschichte eingingen. Die
Kreuzfahrer, die mit der Bekaempfung der Katharer beauftragt worden waren,
wueteten mit beispielloser Haerte und veranstalteten - in dem Bewusstsein der
vorab erteilten Absolution - unglaubliche Blutbaeder und Massaker. Dabei
unterschieden sie teilweise nicht einmal zwischen Katharern und Katholiken in
den belagerten Staedten. Bei der Belagerung und Einnahme der Stadt Beziers, in
der ungefaehr 15000-20000 Menschen niedergemetzelt wurden, soll beispielsweise
die Losung unter den Belagerern umgegangen sein: “Schlagt sie alle tot. Der
Herr kennt die Seinen![58]”
Der paepstliche Legat, Arnold Aimery, berichtete Innozenz III. anschliessend:
“Waehrend mit den Baronen ueber die Straflosigkeit jener verhandelt wurde, die
in der Stadt (Beziers) fuer Katholiken galten, machten Raufbolde und andere
nichtsnutzige Personen, ohne den Befehl der Oberen abzuwarten, einen Angriff
auf die Stadt, und waehrend die unsrigen sich wunderten ueber den Ruf ‘Zu den
Waffen! Zu den Waffen!’, war ungefaehr in zwei bis drei Stunden die Stadt
Beziers eingenommen; die Unsrigen, die weder Stand noch Alter noch Geschlecht
schonten, toeteten fast 20000 Menschen .... und die ganze Stadt wurde
gepluendert und in Brand gesteckt.[59]”
Insgesamt
gingen die Opfer der Albigenserkriege wahrscheinliche in die Hunderttausende
und die bluehende Kultur im Languedoc wurde nahezu vollstaendig zerstoert.
Dennoch gelang den paepstlichen Heeren zu diesem Zeitpunkt die vollstaendige
Ausrottung der “Ketzer” noch nicht. Erst die dauerhaft in Toulouse installierte
Inquisition ab 1233/1234, brachte die voellige Vernichtung der Sekte zur
Vollendung.[60]
Im Gegensatz zu den Albigensern,
wurzelt die Waldenserbewegung nicht in altkirchlichen oder
fruehmittelalterlichen Heresien, sondern in einem streng durchgehaltenen
Biblizismus. Sie entstand 1176 durch die radikale Bekehrung des reichen Lyoner
Kaufmanns Waldes[61]
(1140-1206?). Die Frage, wie die Bekehrung Waldes’ ausgeloest wurde, ist
umstritten und legendenumwoben. Die meistvertretene Variante[62]
besagt, Waldes sei waehrend einer harten Teuerungszeit von der Legende des heiligen Alexius[63],
die er von einem Spielmann auf dem Marktplatz hoerte, so gepackt worden, dass
er sich von zwei Klerikern gegen Geld verschiedene Texte des Neuen Testamentes
und der Kirchenvaeter[64]
in seine provenzalische Muttersprache uebersetzen liess. Anschliessend
verschenkt er seinen Besitz und versucht, dem Ideal der vita apostolica nach zu leben. Das hiess fuer ihn, bettelarm als
Wanderprediger unterwegs zu sein und zu Umkehr und guten Werken aufzurufen.
Bald schon finden sich Anhaenger seiner Lehre und Lebensweise, die er in einem
Verein sammelt und ebenfalls zur Wanderpredigt aussendet. Die Taetigkeit der
Waldenser[65] missfiel
der kirchlichen Obrigkeit schon bald. Sie vermutete einen neuen Unruheherd
neben dem schon vorhandenen Problem mit der Albigenserbewegung. Im Fruehjahr
1179 zogen deshalb einige Waldenser nach Rom, um auf dem Laterankonzil
Alexander III. die offizielle Predigterlaubnis zu erhalten. Dabei legten sie
dem Papst auch die noch unvollstaendige Bibeluebersetzung ins Provenzalische
vor. Man stellte den schlichten Wanderpredigern daraufhin probehalber einige
theologische Fangfragen, die diese zum Hohngelaechter der versammelten Kleriker
in Konfusion brachten. 1181 verbot ihnen der Erzbischof von Lyon ausdruecklich
das Predigen. Papst Lucius III. verhaengte dann 1184 nach missachtetem
Predigverbot die Exkommunikation ueber die Bewegung.[66]
Im Laufe der ersten Zeit ergaben
sich auch zunehmend Kontakte zwischen den Waldensern und Humiliaten[67]
von Mailand. Ein Teil der Humiliaten vereinigte sich mit den dortigen
Waldensern und bildete “neben dem franzoesischen Zweig oder der S t a m m e s-
g e n o s s e n s c h a f t (sic!) ein
zweiter grosser Zweig des Waldensertums, der der ‘Pauperes Lombardi’[68].” Zur dogmatischen Position der Waldenser
gehoert unter anderem die Ablehnung des Eides, des Kriegsdienstes, der
Todesstrafe, der Seelenmessen, der Almosen und Gebete fuer die Toten, der Lehre
vom Purgatorium, der Ablaesse und der Wirksamkeit der Sakramente unwuerdiger
Priester. Im 13. Jahrhundert bestritten sie zusaetzlich den roemischen
Aufenthalt des Petrus. Dagegen betonten sie sehr stark das Fasten und Beten des
Vaterunsers.
Unveraeusserliche Kennzeichen der
Waldenser, zumindest bis zur Akkomodation an die reformatorische Bewegung im
16. Jahrhundert, waren das Festhalten am Laienpredigertum und der Vermeidung
jeglicher Art von Weltflucht. Die Waldenser waren bewusst in den Staedten zu
Hause, wo die Menschen waren, die sie mit ihrer Predigt erreichen wollten. Der
Weg ins Kloster oder zu einer eigenen Ordensgruendung stand nie zur Debatte[69].
Bald kam es jedoch zu Spannungen
zwischen den Lombarden und Waldes ueber einzelne Aspekte der Lehre[70]
und etwa um 1210 zum vorlaeufigen Bruch. Die beiden Zweige der Bewegung
verbreiteten sich von da an getrennt. Die franzoesische Gruppe hatte ihren
Hauptsitz im Languedoc und expandierte nach Lothringen, Flandern und Nordspanien, die Lombarden breiteten sich in
Oberitalien und Sueddeutschland aus. Als dann auf der 4. oekumenischen Lateransynode
unter Innozenz III. die gnadenlose Ausrottung aller Haeretiker[71]
- und dazu zaehlten die Waldenser mittlerweile - beschlossen wurde, war dies
der Anlass zur Wiedervereinigung der beiden Zweige der waldensischen Bewegung.
1218 wurde auf einem Treffen von je sechs Vertretern der italienischen und
franzoesischen Waldenser die societas
valdesiana geboren, die von da an das einende organisatorische Grundgeruest
bildete.
Etwa von der Mitte des 13.
Jahrhunderts ab wurden die Waldenser zunehmend aus den Staedten vertrieben und
zogen sich in mehr laendliche Gebiete Deutschlands, Sueditaliens und der Alpen
zurueck. 1380 begann dann die Inquisition gezielt ihr Augenmerk auf die
Waldenser zu richten. Unter den beiden Inquisitoren Martin von Prag und Peter
Zwicker wurde Deutschland von Sueden nach Norden systematisch durchkaemmt. Ihr
Auftrag lautete, die Waldenser zur roemischen Kirche zu bekehren oder aber zu
Tode zu bringen. Viele wurden im Zuge dieser Kampanie hingerichtet.
Insbesondere fuer die Waldenser der Alpen (Piedmont und Dauphine) brach die
haerteste Zeit erst im 15. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Vorreformation,
richtig an und setzte sich fort - nach einigen friedlichen Jahrzehnten - im
Rahmen der Gegenreformation. Insbesondere auf franzoesischer Seite (Dauphine)
kam es zu regelrechten inquisitorischen Kreuzzuegen, in denen ganze
waldensische Siedlungen und Doerfer vollkommen ausgerottet wurden. Die Bewohner
- soweit man ihrer habhaft werden konnte - wurden brutal hingeschlachtet. Wer
entkommen konnte, floh in sichere Gebiete von Piedmont oder den Sueden
Italiens.
Jedoch konnten weder die
Inquisition, noch die wesentlich blutigere Gegenreformation die Bewegung der
“Armen von Lyon” vernichten. Die Waldenser behaupteten sich durch die
Jahrhunderte “als eigentliche ‘Kirche unter dem Kreuz’ ... Kaum eine Kirche hat
so viele Maertyrer aufzuweisen wie sie.”[72]
7. Epilog
Es ist - denke ich - relativ klar zu
erkennen, dass die vielfaeltigen und zum Teil radikalen Umbrueche in Kirche,
Staat und Gesellschaft des 12. Jahrhunderts und deren Beziehungen zueinander,
auf eine entscheidende und grundlegende Wandlung zusteuern. Das Papsttum hat
sich durch die weitgehende Vernachlaessigung seines geistlichen Amtes zugunsten
politischer Raenkespiele, der Kriegsfuehrung im Heiligen Land und der blutigen
Reaktion gegen die “Ketzer” aus den eigenen Reihen bei den ernsthaft Frommen
stark in Misskredit gebracht. Das Aufbrechen immer neuer Reformbewegungen, die
haeufig kirchenkritische oder gar antiklerikale Toene anschlagen, macht das
unmissverstaendlich deutlich. Die Unzufriedenheit an der kirchlichen Basis
waechst und spielt der “Oppostition” in die Haende. Dazu kommt, dass der
vorherrschenden “sproeden” Rationalitaet des christlichen Glaubens in der
kirchlichen Predigt und Praxis nun eine neue Verinnerlichung der Froemmigkeit
entgegentritt, verbunden mit bisher kaum gekanntem emotionalem Engagement.
Schliesslich muss die machtstrotzende und reiche Amtskirche nun damit fertig
werden - theologisch und praktisch - das ihr in verschiedenen Reformgruppen die
Neuentdeckung der vita apostolica
insbesondere des Armutsideals und des Gewaltverzichtes entgegentritt.
Die Entwicklung ist nicht mehr
aufzuhalten - auch nicht durch die Inquisition. Waehrend der “babylonischen
Gefangenschaft des Papsttums” in Avignon (1309-1377) ist auch ein Niedergang
der grossen Reformorden[73]
zu beobachten. Selbst die wesentlich juengeren Bettelorden “hatten ihren
Hoehepunkt ueberschritten und erlagen im 14. Jahrhundert dem Verfall.[74]”
Auch die Scholastik, die lange Zeit als konservative Einrichtung, die Kirche
und das Papsttum in ihrer hergebrachten Form zu begruenden und erklaeren
suchten, verfaellt im endlos scheinenden Streit der Scotisten und Thomisten.
Wilhelm von Ockhams (1280?-1347?) Ansatz der via moderna bedeutet letztlich das Ende der Scholastik. Mit dem
Aufdaemmern des Humanismus und der Renaissance im fruehen 14. Jahrhunderts,
erhoeht sich der Reformdruck auf die Kirche auch noch von aussen. Um 1320 dann
wird der Vorreformator John Wycliff (-1384) geboren, gegen Ende des gleichen
Jahrhunderts Johannes Hus (1369?-1415). Das Papsttum erlebte zudem noch einen
harten Gegenschlag aus den eigenen Reihen, als auf dem Konzil von Basel
(1431-1449) der Konziliarismus seinen Hoehepunkt erlebte und damit den Einfluss
des Papstes auf die Kirchenpolitik empfindlich empfindlich einschraenkte.
Alles in allem also eine
niederdrueckende Bilanz, wenn auch einzelne Lichtblicke vorhanden waren. Karl
Heussi charakterisiert die innerkirchlichen Verhaeltnisse in der Zeit bis zum
Ende des 15. Jahrhunderts so: “Wie der auf den Konzilien unternommene Versuch
einer Reform des Papsttums gescheitert war, so blieb auch der Gesamterfolg der
Reformen des Klerus und der religioesen Orden sehr bescheiden. ... Die
Zustaende schrieen nach Reform.[75]”
Dieser offenkundige Reformdruck ist - meiner Ansicht nach - bereits im 12.
Jahrhundert zu beobachten. Nur sind zu dieser Zeit Kirche und Papsttum noch zu
stark und - nicht zuletzt mit brutaler Gewalt - in der Lage, Reformbemuehungen
und -be-wegungen mit mehr oder minder grossem Erfolg zu unterdruecken.
Die vorliegende Arbeit konnte aufgrund ihrer breitangelegten
Thematik nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Es waere jedoch sicher einer
gesonderten Untersuchung wert, herauszuarbeiten, ob zum Beispiel die Waldenser
nicht “nur” eine der vielen katholischen Reformbewegung des 12. Jahrhunderts
waren, sondern eigentlich bereits den Beginn der Vorreformation[76]
markieren.
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[1] cf. Francois Louis Ganshof, Propylaeen Weltgeschichte 5, 397ff
[2] cf. Arno Borst, Propylaeen Weltgeschichte, 5, 504 - Diese apokalyptische Stroemung kulminiert im Joachimismus, der auf den Zisterzienserabt Joachim von Floris (gest. 1201/02) zurueckgeht. Sein Ansatz war eine Dreizeitalterlehre (Zeitalter des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes), die fuer das Jahr 1260 das Anbrechen des Zeitalters des Heiligen Geistes vorhergesagt hatte.
[3] Die Weltflucht-Stimmung laesst sich leicht am Zulauf der zahlreichen neu entstandenen Orden und Eremitagen erkennen. Arno Borst bemerkt dazu (ebda.): “Gerade bei den Besten schlug die Gregorianische Reform, die die Welt zum Geistlichen hatte bekehren wollen, um in die Flucht der Geistlichen vor dieser Welt.”
[4] In seinem Buch The Birth of
Popular Heresy nennt R. I. Moore das 12. Jahrhundert An Age of Anticlericalism
[5] Letzteres wird deutlich, wenn man die unglaublich “Fluktuationsrate” auf dem Heiligen Stuhl bedenkt: Zwischen 1000 (Sylvester II.) und 1200 (Innocenz III) herrschten insgesamt 38 Paepste die Kirche von Rom!
[6] Ich habe beispielsweise die Fruehscholastik (Anselm von Canterbury, Peter Abaelard, Petrus Lombardus) und die allerdings erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstehenden Bettelorden (Dominikaner, Franziskaner) in dieser Arbeit nicht eigens thematisiert, sondern nur fluechtig gestreift.
[7] Die Paepste dieser Jahre (zwischen 900 und 1000 allein gab es nicht weniger als 23!) waren meist in die Parteikaempfe roemischer Adelfamilien verstrickt oder wurden wegen Verbrechen, Unsittlichkeit und anderer Delikte abgesetzt. Der 12-jaehrige Papst Benedikt IX. zum Beispiel, verkaufte nach seiner Verjagung vom Heiligen Stuhl die Tiara (Papstkrone) an Johannes Gratian, der dann auf diese Weise als Gregor VI. fuer ein Jahr den Papstthron bestieg.
[8] Leo bekaempfte bereits entschieden die Praxis der Simonie, hielt Reformsynoden zur Abstellung von Misstaenden ab, schaltete den Einfluss des roemischen Adels auf die Kurie aus und wirkte auf eine sittliche Erneuerung des Klerus hin. Darueberhinaus holte er sich Reformgesinnte Maenner, wie Humbert, Friedrich von Lothringen und Hildebrand ins Kardinalskollegium. Er fuehrte ebenfalls die jaehrliche internationale Ostersynode in Rom ein, um den Austausch der Bischoefe des gesamten Abendlandes zu foerdern.
[9] Im sogenannten Dictatus papae laesst Gregor unter anderem verlautbaren: “Des Papstes Fuesse allein haben alle Fuersten zu kuessen. ... Ihm (dem Papst, B. H.) ist erlaubt, Kaiser abzusetzen. ...Sein Ausspruch darf von keinem angetastet werden, er selbst darf allein die Bestimmung aller andern verwerfen. Er selber darf von niemandem gerichtet werden. ... Die roemische Kirche hat nie geirrt und wird auch nach dem Zeugnis der Schrift niemals irren.” [H. Schuster, Quellenbuch zur Kirchengeschichte, 60]
[10] Gregor bezeichnete die Priesterehe nach Off. 2,14+15 als “Nikolaitismus”.
[11] Das Verbot der Priesterehe, wie auch das Verbot der Simonie wurden auf der Fastensynode 1074 erlassen!
[12] Heinrich missachtete das Investiturverbot und erhielt dafuer die schriftliche Bann- und Absetzungsandrohung des Papstes. Daraufhin setzte Heinrich auf der Synode zu Worms im Januar 1076 zusammen mit den deutschen Bischoefen Gregor als Papst ab. Das brachte ihm dann auf der roemischen Fastensynode 1076 die Exkommunikation und Absetzung (Loesung der Untertanen vom Treueid). Heinrich geriet nun unter Zugzwang, da die deutschen Fuersten seine tatsaechliche Absetzung angedroht hatten, falls er nicht in Jahresfrist wieder vom Kirchenbann geloest sei. So machte sich Heinrich schliesslich auf nach Canossa und erzwang durch seine Kirchenbusse (vom 25. - 28. Januar 1077 barfuss im Schnee vor dem Schloss stehend) die Lossprechung. “Canossa bedeutet ... einen Tiefpunkt in der Geschichte des deutschen Koenigtums...”. [K. Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 190, n]
[13] Das Wormser Konkordat besagt, dass Heinrich auf die Investitur mit Ring und Stab verzichtet, die Investitur mit dem Szepter aber erhaelt. Der Bischof wird im Beisein des Koenigs gewaehlt, jedoch ohne Gewalt oder Simonie. Der Koenig hat ein Vorschlagsrecht. Anschliessend erhaelt der neugewaelte Bischof das Szepter als Zeichen fuer seine saekulare Macht aus der Hand des Koenigs und schliesslich aus der Hand des Papstes erhaelt er seine bischoefliche Macht durch die Investitur mit Stab und Ring.
[14] Allerdings war Anaklet auch im Vorjahr 1138 gestorben.
[15] In der Doppelwahl wurde Heinrichs erst 3-jaehriger Sohn Friedrich II. uebergangen und es kam zu einem laenger andauernden Thronstreit zwischen Otto IV. und Philipp von Schwaben, den Innocenz III. zu seinen Gunsten auszunutzen verstand.
[16] Unter “Interdikt” verstand man das Verbot fuer Personen oder Gebiete, Gottesdienste abzuhalten, Glocken zu laeuten und vieler anderer kirchlicher Taetigkeiten.
[17] s. Seite 8, Fussnote 21
[18] Karl Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 211,m
[19] ebda.
[20] Brief 1,401 zitiert in Paul Boerger, Quellen zur alten und mittelalterlichen Kirchengeschichte, S. 47
[21] Im Rahmen des deutschen Thronstreits erkannte Innozenz zunaechst Otto IV. an, dann Philipp von Schwaben und nach dessen Ermordung erneut Otto IV. Schliesslich spielte er Friedrich II. gegen Otto IV. aus und erpresste sich bei all diesen politischen Schachzuegen Zugestaendnis um Zugestaendnis (so z. B. von Otto IV. die Preisgabe des Wormser Konkordats, Verzicht auf das Spolien- und Regalienrecht, etc.)
[22] Dieser Schachzug entpuppte sich allerdings ziemlich bald als “Eigentor”. Die geschwaechte Stellung ihres Monarchen nutzte der englische Adel und die Londoner Buergerschaft 1215, um in einer bewaffneten Erhebung Johann Ohneland zur Annahme der Magna Charta libertatum zu zwingen, die nicht zuletzt den Einfluss Roms auf die Inselpolitik erheblich einschraenkte. Der Bannfluch, den Innocenz III. daraufhin den Aufstaendigen entgegenschleuderte, hatte keinerlei Wirkung.
[23] Der Dominikanerorden wurde 1216, der Franziskanerorden 1223 gegruendet - beide jedoch erst unter Innocenz’ Nachfolger Honorius III. (1216-1227)!
[24] cf. Heussi, a. a. O., 232, e.
Beispielsweise kritisiert er im folgenden Lied die sogenannte “Konstantinische Schenkung”: Es hat der Koenig Konstantin
Dem Stuhl zu Rom so viel verliehn,
Speer, Kreuz und Krone, dass er Macht erlangte.
Da rief der Engel laut: “O weh!
Und aber weh, zum dritten weh!
Die Christenheit, die jetzt so herrlich prangte,
Der ist ein Gift herabgefallen.
Ihr Honig wandelt sich zu Gallen:
Einst steht die Welt darob verzagt.”
Alle Fuersten leben nun mit Ehren,
Indes der Hoechste Schmach erduldet:
Das hat der Pfaffen Wahl verschuldet.
Das sei dir, suesser Gott, geklagt!
Die Pfaffen wollen Laienrecht verkehren:
Der Engel hat uns wahrgesagt.
Walther von der Volgelweide (uebersetzt von Karl Simrock)
[25] Die Seldschuken waren der Hauptstamm tuerkischer Nomadenvoelker aus dem Inneren Zentralasiens
[26] Zweifellos waren jedoch eine Vielzahl an Motiven und Ursachen fuer das paepstliche Interesse und den Zulauf an Kaempfern vorhanden: von seiten Roms bestand ein gesteigertes Interesse daran, den Osten nach dem Schisma (Konstantinopel) wieder in die Papstkirche einzugliedern und dafuer bot man den relegioes, wirtschaftlich oder von Abenteuerlust motivierten Kaempfern im voraus vollkommenen Ablass.
[27] Wegen seiner weitreichenden Hoerigkeit Rom gegenueber oft auch der “Pfaffenkoenig” genannt.
[28] Karl Heussi, a. a. O., 209, d
[29] “Ghibellinen” nannte man in Italien die Anhaenger der staufischen Kaiser (Verstuemmelung von “Welfen” und “Waiblingen”) im Gegensatz zu den “Guelfen”, wie man die Parteigaenger des Papstes nannte.
[30] Doge (Herzog) war die Bezeichnung des Staatsoberhauptes in Venedig und Genua
[31] Zara war wahrscheinlich aus Sicht der Venezianer ein Konkurrenzhafen gewesen!
[32] Am 17. Juli 1203 “befreiten” die Kreuzfahrer zunaechst “friedlich” Isaak II. Angelos (1185-1195) aus dem Gefaengnis und setzten ihn zum Herrscher ein. Doch schon nach kurzer Zeit konnte er die Habgier der Kreuzfaher nicht mehr befriedigen und wurde gestuerzt. Am 13. April 1204 eroberten die Kreuzfahrer die Stadt erneut, diesmal jedoch mit blutiger Haerte und einer dreitaegigen Pluenderungsphase, die unermessliche Kunstschaetze vernichtete.
[33] Im “Frieden von Ceprano” (1230)
[34] Francoise Louis Ganshof vermutet, diese Entscheidung gehe auf einen Wunsch des sizilianischen Koenigs Karl von Anjou zurueck. [cf. Propylaeen Weltgeschichte, 472]
[35] Die cluniazensischen Reformen beinhalteten unter anderem die Erneuerung des alten Moenchsideals, antiepiskopale Zuege und straffe Organisation. Man legte gesteigerten Wert auf Askese und die Einhaltung der Regeln Benedikts nach der Fassung Benedikts von Aniane (gest. 821). Die Leitung der Bewegung blieb monarchistisch in der Hand des Abtes von Cluny!
[36] Um 1140 wird zu Ehren Marias das “Fest der unbefleckten Empfaengnis” eingefuehrt. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts buergert sich in der Volksfroemmigkeit das Beten des Ave Maria und des Rosarium (15 Vaterunser mit je 10 Ave Maria, abgezaehlt auf einer Gebetsschnur mit 6 grossen und 53 kleinen Perlen). [cf. J. Zimmermann, a. a. O., 48]
[37] Karl Heussi, a. a. O., 203,b
[38] ebda.
[39] “Es ist klar, den Aposteln wird das Herrschen verboten. So auch du, wage es, als Herrscher das Amt eines Apostels zu ueben, oder als Apostel den Herrn zu spielen! Offensichtlich wird dir beides verwehrt. Wenn du aber beides nebeneinander haben wolltest, so wirst du beides verlieren.” [aus Bernhard von Clairvaux, De consideratione, zit. in H. Schuster, Quellenbuch zur Kirchengeschichte, 70]
[40] Oft auch viktorinische Mystik genannt! Der Ansatz dieser Mystik ist im wesentlichen neuplatonisch und bedeutet konkret, dass der Mystiker sich kontemplativ vom Materiellen durch das Geistige hindurch zum Goettlichen bewegt und schliesslich in einer Ekstase kurzzeitig das ueberwaeltigende Gefuehl des Inneinanderfliessens der Seele mit Gott hat.
[41] Es soll an dieser Stelle nicht unerwaehnt bleiben, dass es auch in den Nonnenkloestern mutige Kritiker der Kirchenpolitik des 12. Jahrhunderts und gleichzeitg Vertreter einer Spielart areopagitischer Mystik gab: so zum Beispiel Hildegard von Bingen (gest. 1179), Elisabeth von Schoenau (1129-1164), Mechthild von Magdeburg (1212-1280), Mechthild von Hackeborn (1241-1310, Angela von Foligno (1248-1309) und Gertrud die Grosse (1256-1302).[cf. Walter Nigg, Gebete der Christenheit]
[42] Die Augustiner-Chorherren waren Kanoniker, die nach der Regel Augustins (einer aus dem 7. oder 8. Jahrhundert stammenden Paraphrase des von Augustins Schreiben ueber die vita canonica) lebten. Sie wurden auch “regulierte Kanoniker” genannt!
[43] Der Name leitet sich vom Gruendungsort Premontre bei Laon (Laudunensis) in der Ile-de-France in Frankreich ab.
[44] Arno Borst, a. a. O., 527f
[45] + 45 Schroff eremitsche Orden der “italienischen Reformfreunde”, die unter Einwirkung des orientalischen Moenchtums im 11. Jahrhundert entstanden sind. Die Camaldulenser wurden 1012 von Romuald von Ravenna in Camaldoli in den Apeninnen gestiftet. Eigentlicher spiritus rector der Bewegung war der Kalabrier Nilus von Rossano. Der Orden von Vallombrosa entstand 1038.
[47] Franz von Assisi (1181/82-1226) gruendete um 1220 den Bettelorden der Ordo fratrum minorum (O.F.M.), dessen Charakteristikum Wanderpredigt und Seelsorge war. Der ebenfalls um diese Zeit entstandene Ordo fratrum praedicatorum (O.P.), der Dominikanerorden, geht auf den
Spanier Dominikus von Caleruega (1170-1221) zurueck. Dieser Orden war zunaechst mit der friedlichen Bekehrung der Ketzer durch die Predigt beschaeftigt, wurde dann aber im Laufe der Zeit zum Verwaltungs- und Ausfuehrungsorgan der Inquisition.
[48] Diese Schriften sind etwa um das Jahr 500 entstanden.
[49] J. Zimmermann, a. a. O., 59
[50] J. Zimmermann, a. a. O., 61
[51] “Salve, Caput cruentatum ...”. Dieses Lied stammt wahrscheinlich nicht von Bernhard selbst, sondern von einem seiner Schueler. Das nun tatsaechlich von Bernhard von Clairvaux geschriebene Lied “Jesu dulcis memoria” wurde in der Reformationszeit von Martin Moller (1547-1606) verarbeitet zu dem Choral: “Ach Gott, wie manches Herzeleid”. [cf. Wolfgang Heiner, Bekannte Lieder - wie sie entstanden, 25 + 98]
[52] Karl Heussi behauptet zwar, dass auch das Katharertum die Waldenser beeinflusst habe hinsichtlich ihrer - teilweise - gleichartigen Kritik an Bestandteilen der katholischen Kirchenlehre. Ich halte das jedoch nicht fuer zwingend. Gerade eine stark biblizistisch ausgerichtete Bewegung, wie die Waldenser, konnte sehr schnell zu den kirchenkritischen Erkenntnissen gelangen, die die Gruppe nachher auch verkoerperte.
[53] Die Katharer leiten ihren Namen vom griechischen “Kaqaroi” (die Reinen) ab. In der deutschen Sprache entstand daraus der Begriff “Ketzer”. Im Sueden Frankreichs benannte man sie auch zunehmend nach ihrem Hauptwohngebiet, der Stadt Albi (im Languedoc) Albigenser.
[54] Die Paulicianer waren eine um 650 in Armenien und Syrien entstandene dualistische Haeresie, gegruendet von Konstantin von Mananalis bei Samosata. Moeglicherweise liegt eine Wurzel im Marcionitismus. Die Paulicianer nannten sich selbst “Cristianoi”und ihre Versammlungen und Fuehrer nach Gemeinden und Missionsgefaehrten des Paulus. Daher nannte man sie auch von seiten der Katholiken Paulicianer.[cf. Steven Runciman, The Medieval Manichee, 26ff]
[55] Die Bogomilen (“Gottesfreunde”) stammen aus Kleinasien und haben gnostische und euchitische Wurzeln. Auch ihre Askese ist schroff. Um 1110 wurden sie hart verfolgt, konnten sich jedoch unter den Bulgaren und in Bosnien weiterverbreiten. Wahrscheinlich im Gefolge der Kreuzfahrerheere kamen sie auch nach dem Westen. Unter ihrem Einfluss trat der Niederlaender Tanchelm (erschlagen 1115 oder 1124) und behauptete seine persoenliche Inspiration durch den Heiligen Geist [cf. R. I. Moore, The Birth of popular Heresy, 28-32] oder auch der Bretone Eudo de Stella (1148 Klosterhaft) hielt sich fuer den Weltenrichter. [cf. Steven Runciman, The Medieval Manichee, 63ff] In gleicher Weise beeinflusst traten auch die Petrobrusianer in Suedfrankreich auf. Sie benannten sich nach ihrem Begruender, Petrus von Bruys, der um 1135 verbrannt wurde. [cf. R. I. Moore, a. a. O., 60-62]. Teilweise eigenstaendig, teilweise in Zusammenarbeit mit den Petrobrusianern agierte zur gleichen Zeit im Rhonetal der ehemalige Benediktiner Heinrich von Lausanne. [cf. R. I. Moore, a. a. O., 33-59]
N. B.: Sowohl die Paulicianer, als auch die Bogomilen werden noch heute in der Armstrong’schen “Kirche Gottes” als die wahre Kirche ihrer Zeit und direkte Vorlaeufer der kalifornischen Sekte angesehen. [cf. Kurt Hutten. Seher, Gruebler, Enthusiasten, 192f]
[56] Der albanensische Bischof Balasinansas behauptet zum Beispiel: “Die alttestamentlichen Patricharchen und Johannes der Taeufer sind Feinde Gottes und Teufelsdiener. Der Teufel ist als Gott Autor des Alten Testamentes mit Ausnahme aller Propheten- und Weisheitsbuecher, der Psalmen und Job, die himmlischen Ursprungs sind ...” [Georg Schmitz-Valckenburg, Grundlehren katharischer Sekten des 13. Jahrhunderts, 334]
[57] Vor allem die Albanenser mit deren Bischof Balasinansas (Wirkungszeit zwischen 1200 und 1230). Im Hinblick auf die Trinitaet lehren sie, “Christus und der Heilige Geist seien nur Proprietaeten des Vaters und innerhalb der Zeit entstanden.” [Georg Schmitz-Valckenburg, a. a. O., 331] Ihr Doketismus veranlasste sie, unter anderem auch die Himmelfahrt Christi abzulehnen. [ebda.]
[58] J. Zimmermann, a. a. O., 64
[59] Paul Boerger, a. a. O., 55
[60] “The inquisition of Toulouse had more or less completed its work by the death of Alphonse of Poitiers in 1271, and in 1279 it unofficially suspended its activities.” [Jonathan Sumption, The Albigensian Crusade, 242]
[61] Der Vorname Petrus ist erst spaeter (1368) bezeugt und moeglicherweise nicht authentisch!
[62] Es existiert darueberhinaus eine zweite Variante, die wissen will, Waldes sei aufgrund seines eigenen Reichtums inmitten einer grossen Armut der Bevoelkerung von schlechten Gewissen geplagt gewesen und habe daher den Rat eines Priesters gesucht. Der Priester habe ihn schliesslich auf Mt. 19 hingewiesen und ihm als sichersten Weg vorgeschlagen, zu handeln, wie es Jesus dem reichen jungen Mann im Evangelium nahelegt. Waldes folgte den Worten Jesu und gab seinen Reichtum an die Armen.
Die dritte Variante besagt, Waldes sei vom ploetzlichen Tod eines Freundes waehrend eines Festessens so betroffen gewesen, dass er sich fragte, ob seine eigene Seele im Falle eines ploetzlichen Todes bereit gewesen waere. Das fuehrte ihn dann nach einigen Wochen Gewissenskonflikt zur Bekehrung.
[63] Die Alexiuslegende war in der Regel ein Lied ueber den altfranzoesischen Heiligen Alexius aus dem 5. Jahrhundert. Die Legende besagt, dass der Adligensohn, Alexius, in der Hochzeitsnacht mit seiner Frau beschloss, “in maegdlicher Reinigkeit” zu leben und danach auszog, um als Pilger das Heilige Land zu bereisen. Dort lebte er - so will es die Legende - ein derart asketisches und “heiliges” Leben, dass er bald koerperlich zur Unkenntlichkeit veraendert war. Er kehrte daraufhin wieder zurueck in seine Heimatstadt (einige Varianten der Legende sagen, er sei unerkannt in sein Elternhaus eingezogen). Er lebte jedenfalls anonym in seiner Vaterstadt 17 weitere Jahre lang und starb unter einer alten Treppe. Erst nach seinem Tode erkannte man ihn. [cf. Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, 208 und Giorgio Tourn, a. a. O., 13]
[64] Nach einem Inquisitionsprotokoll aus dem Kirchenarchiv von Carcassonne (Frankreich) handelte es sich dabei um Texte von Augustinus, Hieronimus, Ambrosius und Gregor, die unter der Bezeichnung “Sentenzen” zusammengefasst worden seien. [Giorgio Tourn, a. a. O., 11]
[65] Die Bezeichnung der Bewegung ist aeusserst vielfaeltig: Pauperes spiritu, Pauperes de Lugduno, Leonistae (Lyoneser), Sabbatati (Sandalentraeger), Valdesii (Waldenser) etc.
[66] “Vornehmlich bestimmen wir, dass die Katharer und die Patariner und die, welche sich Humiliaten oder Arme von Lyon faelschlich nennen, dem ewigen Bann unterliegen.” [zit. in Paul Boerger, a. a. O., 55]
[67] Die Humiliaten (Demuetige) waren ein asketischer Verein von Klerikern und Laien in Mailand, die ebenfalls von Rom Predigtverbot erhalten hatten.
[68] Karl Heussi, a. a. O., 218, i
[69] Eine Ausnahme bildet der fruehwaldensische “Theologe” Durandus von Huesca, der kurz nach Waldes’ Tod (1207) mit einigen Anhaenger die Bewegung verliess und zurueckkehrte in den “Schoss” der roemischen Kirche, wo man ihm gestattete, einen eigenen Orden zu gruenden, der sich “Die Katholischen Armen” (Pauperes catholici) nannte und zugleich der erste Bettelorden war. [cf. Jonathan Sumption, a. a. O., 73] Nach Heussis Urteil, waren die Bettelorden in ihrer Anfangsphase ohnehin nichts anderes, als “in gewissem Sinne ... die Fortsetzung des Waldensertums innerhalb der Kirche.”[K. Heussi, a. a. O., 220, c]
[70] ”The Poor of Lyon tended to be pilgrim preachers, bards of conversion not greatly dissimilar from the wandering minstrels of the time. The central figure for the Lombard Poor, on the other hand, was the artisan, the woolcarder in a textile shop, the laborer, the worker.” [Giorgio Tourn, You are my witnesses, 23]
[71] “Wir stossen aus der Gemeinschaft der Kirche aus und verfluchen alle Haeresie, die sich erhebt gegen den rechten katholischen Glauben: ... 4. Den Katholiken, die das Kreuz nehmen und zur Ausrottung der Ketzer ausziehen, soll derselbe Ablass gewaehrt und dasselbe Privilegium zugesichert werden wie denen, die zur Befreiung des heiligen Landes das Kreuz nehmen. 5. Wer die Haeretiker schuetzt, verfaellt dem Bann.” [zit. in Paul Boerger, a. a. O., 48] - cf. auch “De Haereticis” (1215) [zit. in Giorgio Tourn, a. a. O., 28]
[72] Felix Flueckiger, Artikel: Mittelalter, in Burkhardt/Geldbach/Heimbucher, Evangelisches Gemeindelexikon, 370
[73] Dieser Niedergang, der im wesentlichen in der Aufgabe der urspruenglichen Ideale - insbesondere der Askese - lag, betraf neben Benediktinern und Cluniacensern auch die Zisterzienser und Johanniter.
[74] Karl Heussi, a. a. O., 241, a
[75] ebda., 259, a. b
[76] Mit den Waldensern , so schreibt Theodor Brandt, “beginnt [...] das Thema der Reformation.” [Theodor Brandt, Kirche im Wandel der Zeit, I, 193]